Standort Europa: wie geht es wirtschaftlich und geopolitisch weiter?

Wie lässt sich der europäische Standort wirtschaftlich und geopolitisch verteidigen? Unter dieser Frage organisierte die Politische Akademie zwei Podiumsdiskussionen auf der Buch Wien 2024.

Unter dem Titel „Wachstum – Wohlstand – Wirtschaftsstandort: wie wettbewerbsfähig ist Österreich?“ moderierte Gerhard Hofer von der „Presse“ am Donnerstag den 21. November 2024 auf der ORF-Bühne eine Podiumsdiskussion mit Wirtschaftsphilosophin Katja Gentinetta, oecolution-Geschäftsführerin Elisabeth Zehetner, Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und Flughafen-Vorstandsdirektor Günther Ofner.

Die Wirtschaftsphilosophin Katja Gentinetta begann mit einem Plädoyer für Wachstum, welches sie auch in ihrem Buch „Wachstum?“ niedergeschrieben hat. Wachstum sollte als dynamischer Entwicklungsprozess verstanden werden, bei dem Unternehmen und Produkte sich an veränderte Bedingungen anpassen, um beispielsweise nachhaltiger und umweltfreundlicher zu agieren. Die negativen Folgen, die Wirtschaftswachstum mit sich gebracht hat, müssten durch dieses Entwicklungspotenzial gelöst werden und nicht durch Maßnahmen gegen Wachstum an sich. Wirtschaftswachstum werde zu sehr als die Aktivität von „denen da oben“ verstanden, dabei seien wir alle die Wirtschaft.

Elisabeth Zehetner, Geschäftsführerin von oecolution und Autorin des Buches „Im Namen des Klimas“ führte weiter aus, dass Klimaschutz und Wachstum keine Gegensätze seien. Das sehe man daran, dass es bei besserer Wirtschaftsentwicklung geringeren CO2 Ausstoß gäbe. Der moralische Zeigefinger verbaue uns Europäern Möglichkeiten, um im internationalen Handel Zugang zu wichtigen Rohstoffen zu bekommen um klimafreundlich wirtschaften zu können. Zusätzlich verhindere die überbordende Bürokratie in Europa, dass innovative Technologien in Europa entwickelt werden.

Auf den Punkt Bürokratie kam auch Günther Ofner, Vorstandsdirektor des Flughafen Wiens, zu sprechen. Die Bürokratie in Europa habe dazu geführt, dass die Bauindustrie eingebrochen sei. Neben Beschließungen wie jener des Green Deal, bräuchte es einen Industrial Deal um den Green Deal in eine sinnvolle wettbewerbsorientierte, technologieorientierte Wirtschaftspolitik umzuwandeln. Wir können uns unsere Ziele nur leisten, wenn der Kuchen des erwirtschafteten Wohlstands größer wird. Das sei auch notwendig um das Pensions- und Gesundheitssystem der nächsten Jahre weiter zu finanzieren.

Gabriel Felbermayr, Leiter des Wirtschafsforschungsinstituts, wies in diesem Zusammenhang auf den Trugschluss hin, dass bei einer „Klima first“ Politik das Wachstum schon dazukommen wird. Der Autor des Buches „Der Freihandel hat fertig“ forderte, dass es mehr Wachstumsimpulse im europäischen Binnenmarkt brauche. Die gäbe es schon lange nicht mehr. Ein dynamischer Binnenmarkt sei notwendig um Europa international gut aufzustellen und Verhandlungsfähig zu machen. Dies sei insbesondere angesichts der Wiederwahl Donald Trumps in den USA relevant, da sein Interesse an Europa vor allem darauf beruht, wirtschaftliche Geschäfte zu betreiben.

 

Die Auswirkungen der US-Wahl auf Europa beleuchtete auch die Podiumsdiskussion zum Thema „Zwischen den Kriegen? Europa in der neuen multipolaren Welt“ am Samstag, den 23. November auf der „Radio Wien“-Bühne. Der stellvertretende Chefredakteur der „Presse“, Christian Ultsch, moderierte die Diskussion zwischen Verteidigungsexperten Franz-Stefan Gady, Carlo Masala, Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München und US-Politik-Expertin Cathryn Clüver-Ashbrook. Zentral ging es darum, wie eine US-Präsidentschaft unter Donald Trump die Verteidigungspolitik Europas, insbesondere in Bezug auf die Ukraine-Krise, beeinflusse.

Carlo Masala führte aus, dass Europa nicht abwehrbereit sei, weil Europa bis dato unter dem Schutz der USA gelebt hätte. Die Tatsache, dass sich die USA von Europa in Ihrer Außenpolitik abwende, habe jedoch nicht mit Donald Trump an sich zu tun, sondern wäre passiert, egal wer die US-Wahl gewonnen hätte, argumentierte Franz-Stefan Gady. Cathryn Clüver-Ashbrook wies darauf hin, dass Donald Trumps Auftreten und Vorgehensweise dazu führen könnte, dass Signale in der Diplomatie nicht mehr verstanden werden. Es könnte daher zu Fehlinterpretationen kommen. Außerdem habe man im Project 2025, dem ausgearbeiteten Programm für die zweite Regierung Donald Trumps, folgendes Ziel definiert: Trump solle sich auf Verbündete in Osteuropa konzentrieren, anstatt mit der Europäischen Union geschlossen zu agieren. Hier stimmte Gady überein: Die „Bilateralisierung“ der Beziehungen mit den USA sei ein Szenario, das die Trump-Regierung ausmachen könnte. Vielmehr würden Einzelstaaten Beziehungen mit den USA aufbauen und nicht mehr die Europäische Union an sich.

Zudem wurde auch das Thema Verteidigungskosten thematisiert. Carlo Masala führte an, dass die Ausgaben, um Europa verteidigungsfähig zu machen, im dreistelligen Milliardenbereich liegen würden. Franz-Stefan Gady wies hingegen darauf hin, dass es nur ein paar wenige Schrauben brauche, um das Abschreckungspotenzial in Österreich zu erhöhen. Bestehende Instrumente wie die Wehrpflicht müssten erweitert werden, verpflichtende Milizübungen müssten wieder eingeführt werden und das Verteidigungsbudget um zwei Prozent erhöht werden. Das seien minimalste Ausgaben im Vergleich zu dem, was es kosten würde, wenn es tatsächlich zu einem Krieg in Europa käme.

Zum Schluss der Diskussion kommentierten die Experten die Tatsache, dass es ein großes Verständnis in der Bevölkerung gäbe, dass sich in der Verteidigungspolitik etwas tun müsse. Das sei eine gute Voraussetzung dafür, ins Handeln zu kommen.

Die „Presse“ hat die Podiumsdiskussion als Podcast-Folge veröffentlicht. Das Gespräch gibt es zum Nachhören hier: https://www.diepresse.com/19110862/welche-geopolitische-rolle-bleibt-europa-nach-donald-trumps-wahlsieg

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