Die lebendige Bürgergesellschaft Afrikas beflügelt durch Social Entrepreneurship
Wenn über Afrika berichtet wird, dann liest man meist über Armut, Krieg und Migration. Doch diese Sichtweise auf die andere Seite des Mittelmeers greift viel zu kurz. Tatsächlich nehmen viele Bürgerinnen und Bürger in Afrika ihr Schicksal selbst in die Hand und lösen gesellschaftliche Probleme unternehmerisch. Als (Social) Entrepreneure bringen sie Produkte und Dienstleistungen auf den Markt, mit denen sie gezielt Missstände in ihrem Umfeld adressieren. Diese lebendige Bürgergesellschaft Afrikas zeigt, wie stark Bürgerinnen und Bürger in Eigenverantwortung die eigene Gesellschaft zum positiven verändern können. Im Rahmen der Veranstaltung „Afrikas lebendige Bürgergesellschaft“ haben die Politische Akademie, das Wilfried Martens Centre for European Studies (WMCES) und das Institut für Umwelt, Friede und Entwicklung (IUFE) das Wirken von Social Entrepreneuren in Afrika beleuchtet.
Gesellschaftliche Probleme lösen
Peter Vandor, Leiter des Social Entrepreneurship-Centers der WU Wien, erklärte das Thema soziales Unternehmertum grundsätzlich. Als soziale Unternehmen würden Organisationen bezeichnet, die primär soziale oder ökologische Ziele verfolgen, also ein gesellschaftliches Problem lösen wollen. Im Unterschied zu zivilgesellschaftlichen Organisationen würden sie dies allerdings mit marktwirtschaftlichen Mitteln tun. Typisch für Sozialunternehmen sei etwa, dass sie Innovationen entwickeln, sich marktwirtschaftlich finanzieren, einen Gutteil ihrer Gewinne für die Mission reinvestieren und Belegschaft sowie Zielgruppe in der Organisation mitbestimmen können.
Präsidentin der Politischen Akademie und Nationalratsabgeordnete Bettina Rausch ordnete diesen neuen Unternehmenstyp mit Blick auf die Kernwerte einer Bürgergesellschaft ein. Die Bürgergesellschaft stünde für Freiheit, Verantwortung, Subsidiarität und Solidarität. Unternehmerinnen und Unternehmer würden diese Werte leben, da sie Verantwortung übernehmen und durch die Lösung von Problemen nahe am Menschen das Prinzip der Subsidiarität und Solidarität erfüllen. „Diese Werte haben also alle sehr viel mit Social Entrepreneurship zu tun, denn Entrepreneurship liegt, auch wenn sie in Handlungen mündet, eine Haltung zugrunde“, erklärte Rausch.
Dass die mit Social Entrepreneurship verbundenen Werte vor allem auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) gebraucht werden, erklärte Martin Engelberg, Präsident des IUFE und EZA-Sprecher der Volkspartei. In der EZA sei das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe gefragt, das bei der Arbeit von Social Entrepreneuren besonders gelebt werde. Die Menschen vor Ort müssten Verantwortung übernehmen und die Chance bekommen, eigene Fähigkeiten und eigenes Vermögen aufzubauen.
Bedeutung Afrikas für Europa
Warum gerad Afrika bei den Themen Wirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit in unseren Fokus rücken sollte, erläuterte Werner Fasslabend, ehemaliger Verteidigungsminister und Vorsitzender des Academic Councils des WMCES. „Die große Bedeutung des afrikanischen Kontinents für Europa wird von fast allen unterschätzt“, ist Fasslabend überzeugt. 1950 lebten 240 Millionen Menschen in Afrika und Europa war mit 560 Millionen mehr als doppelt so groß. Heute ist die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents auf 1,3 Milliarden angewachsen, während Europa mit 750 Million verhältnismäßig kaum zugelegt hat. Die Einwohnerzahl Afrikas werde sich laut Prognosen bis 2050 sogar noch verdoppeln und bis zum Ende des Jahrhunderts auf über 4 Milliarden steigen, rechnete Fasslabend vor. „Diese Entwicklung wird eine unglaubliche Dynamik entwickeln. Die einerseits negative Folgen wie illegale Migration haben wird, aber andererseits auch einen riesigen Markt schaffen wird, selbst wenn der Lebensstandard in Afrika nicht auf europäisches Niveau gehoben werden können sollte.“
Berichte aus der Praxis
Wie sieht Social Entrepreunership heute in der Praxis in Afrika aus? Grundsätzlich sei der Vorgang, wie man ein Sozialunternehmen aufbaue überall auf der Welt der gleiche, erklärte Diego Heatherman, Leiter des Entrepreneur-Support-Teams des ImpactHubs, einem globalen Netzwerk von Sozialunternehmen. Es brauche eine Idee, diese werde entwickelt, getestet und auf den Markt gebracht mit dem Ziel die positiven Effekte zu skalieren. Unterschiede gäbe es natürlich je nach Land. Etwa welche staatlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, Entwicklungsziele oder Infrastruktur es gäbe. Eine besondere Rolle spiele natürlich der Markt und in welche Segmente er sich aufteilen ließe. Auch die Kultur rund um Unternehmertum, etwa die Einstellung zu Risiko oder die Geberlandschaft, sei relevant sowie das Startup-Ökosystem, welche Unterstützungen also vorhanden seien.
Social Entrepreneurship als Ausweg aus der Armut
Wie diese Rahmenbedingungen sich etwa in Ruanda zeigen, berichtete Cares Manzi, Managing Director des ImpactHubs Kigali in Ruanda, der online zugeschaltet war. In Ruanda gäbe es eine besonders junge Bevölkerung, die aufgrund der kaum vorhandenen Jobmöglichkeiten Social Entrepreneurship als Weg aus der Armut sehe. Dabei würden immer wieder neue Innovationen hervorgebracht, die soziale Herausforderungen adressieren und so für die gesamte Gesellschaft von Vorteil sind. Neben der Regierung würden auch zusehends weitere Organisationen mit Unterstützungsprogrammen ins Land kommen und ein gutes Ökosystem für Start-Ups schaffen. Dementsprechend würde die Social Entrepreneurship-Szene in Ruanda stark wachsen.
Als Beispiele für den positiven Impact für die Gesellschaftliche, berichtet Manzi, über die Unternehmen „Water Access Rwanda“ und „Abahizi Rwanda“. Ersteres hat sich einer leistbaren Wasserversorgung für die Gesellschaft verschrieben, zweiteres produziert und exportiert Handtaschen. Abahizi zeichnet sich dabei besonders dadurch aus, dass es durch die Verdienstmöglichkeiten Frauen empowered.
Chancenorientierter Blick gefragt
Vor Ort boten Youssouf Simbo Diakité, Leiter des Wiener Büros des African Diaspora Youth Forum in Europe der Africa Diaspora Organisation, und Jesse Ojobor, Experte für internationale Entwicklung, die Möglichkeit zum persönlichen Austausch. Die beiden Unternehmer wiesen insbesondere auf das in Europa vorherrschende Afrika-Bild hin. Dabei läge der Fokus vor allem auf Defiziten. Die rege Unternehmens- und Innovationsszene, die es in vielen Teilen Afrikas gebe würde dabei mehr oder weniger ignoriert. Insbesondere in diesem Bereiche lägen aber große Chancen für die Kooperation zwischen Europa und Afrika.
Johannes Lindner, Gründer der Initiative for Teaching Entrepreneurship, hat in 17 verschiedenen Ländern an Lehrplänen zur Ausbildung im Bereich Entrepreneurship mitgearbeitet und weiß, wo Entrepreneurship Education in afrikanischen Staaten ansetzen muss: „Während wir in Österreich fast immer das Mindset stärken wollen, geht es in diesen Länder fast immer um Microbusiness.“ Warum der Fokus hier anders gesetzt wird, erklärte Lindner so: „Wenn ich in einem Land mit 80% Jugendarbeitslosigkeit bin, dann ist es die Pflicht des Bildungssystems, dass es mir zeigt, wie ich mir meinen eigenen Job schaffen.“
Auch in der Entwicklungszusammenarbeit hat man die Relevanz von Social Entrepreneurship erkannt. Gunter Schall, Leiter Wirtschaft und Entwicklung bei der Austrian Development Agency, weiß aus Afrika: „Zunehmend wandeln sich lokale zivilgesellschaftliche Organisationen in Afrika zu Social Businesses, weil sie eine Einnahmequelle brauchen und weil sie sehen, sie können ihre Probleme marktfähig lösen. Die dogmatischen Unterschiede zwischen Zivilgesellschaft und Unternehmertum, die wir haben, die kennt man in Afrika in dieser Stärke gar nicht. Da ist man wesentlich pragmatischer und macht einfach was hilft.“
Als Herausforderung sieht Schall bei Social Businesses den „Missiondrift“, also das Abdriften von der ursprünglichen Mission. Nach der Anfangsphase holen viele Social Entrepreneure private Kapitalgeber ins Unternehmen und um den Renditewünschen dieser gerecht zu werden, verändert sich der Fokus weg von den Ärmsten zur Mittelschicht. Die ADA (Austrian Development Agency) versucht hier mit einem neuen Werkzeug den „Social Impact Incentives“ gegenzusteuern. Dabei wird vertraglich eine Prämie festgelegt, die das Unternehmen erhält, wenn es bestimmte soziale Ziele erreicht. Positive Nebeneffekt: Das Risiko liegt so beim privaten Unternehmer und österreichisches Steuergeld wird wirklich nur für erfolgreichen sozialen Impact ausgegeben.