19.11.2025
Rotes Licht für vergessene Schicksale: Christenverfolgung im Fokus
„Red Wednesday“: Verfolgte Christinnen und Christen – hinsehen, verstehen, handeln

Wenn heute weltweit Gebäude blutrot leuchten, erinnert der „Red Wednesday“ an Millionen Christinnen und Christen, die wegen ihres Glaubens diskriminiert, bedroht oder vertrieben werden. Auch der Campus Tivoli – ein demokratiepolitischer Think Tank, der Räume für Dialog, Bewusstseinsbildung und Begegnung schafft – setzt in der Lichtenfelsgasse ein Zeichen und taucht sein Bürogebäude in rotes Licht. Doch hinter den Zahlen stehen Schicksale und Geschichten. Darüber – und über die Frage, was wir von Österreich aus bewirken können – haben wir mit Kurt Igler von Open Doors Österreich gesprochen.
Campus Tivoli:
Vielen Dank, dass Sie heute bei uns sind, Herr Igler. Könnten Sie sich unseren Leserinnen und Lesern kurz vorstellen und erläutern, was genau Ihre Aufgabe bei Open Doors ist?
Kurt Igler:
Danke für die Einladung. Ich heiße Kurt Igler und arbeite seit beinahe 14 Jahren für Open Doors in Österreich. Wir sind eine internationale Hilfsorganisation, die verfolgte Christinnen und Christen unterstützt. Bekannt sind wir vor allem für den Weltverfolgungsindex – die Liste der 50 Länder, in denen Christinnen und Christen am stärksten verfolgt werden. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt jedoch auf der Unterstützung vor Ort.
Unsere Arbeit nahm ihren Anfang vor 70 Jahren mit Bruder Andrew, einen jungen Holländer, der begann, Bibeln hinter den Eisernen Vorhang zu schmuggeln. Sein Anliegen war es, verfolgte Christinnen und Christen zu besuchen, präsent zu sein und die Hilfe zu bringen, die nötig war. Dieser Fokus prägt unsere Arbeit bis heute.
Unser Büro in Österreich hat die Aufgabe, die Christinnen und Christen hier mit der verfolgten Kirche zu verbinden – durch Gebet, Projektunterstützung, Öffentlichkeitsarbeit sowie politische und mediale Bewusstseinsbildung.
Campus Tivoli:
Christinnen und Christen gelten als die weltweit am stärksten verfolgte Religionsgemeinschaft. Woran liegt das – welche Gründe sehen Sie dafür?
Kurt Igler:
Es gibt meines Erachtens mehrere Ursachen. Eine ist schlicht die erhebliche Anzahl an Christinnen und Christen – sie bilden die größte Religionsgemeinschaft weltweit.
Ein weiterer Grund liegt in der missionarischen Ausrichtung des Christentums. Da der Glaube aktiv weitergegeben wird, sind unter den Anhängerinnen und Anhängern häufig auch Konvertitinnen und Konvertiten – etwa aus anderen Religionen oder aus ehemals atheistisch-kommunistischen Systemen. Gerade diese Gruppen sind oft besonders starker Verfolgung ausgesetzt.
Eine weitere Ursache ist die falsche Gleichsetzung des Christentums mit dem Westen, also die verbreitete Wahrnehmung, Christsein sei gleichbedeutend damit, westliche Kultur und Vorstellungen anderen aufzuzwingen – auch auf religiösem Wege. Aufgrund dieser Wahrnehmung stehen Christinnen und Christen immer wieder unter dem Vorwurf, westliche Einflüsse ins Land zu tragen oder sogar für den Westen zu spionieren. Zwar entbehren diese Zuschreibungen jeder Grundlage, sie prägen jedoch die öffentliche Wahrnehmung. Wir versuchen aufzuzeigen, dass heute die Mehrheit der Christinnen und Christen im globalen Süden lebt und dass das Christentum seinen Ursprung im Nahen Osten hat – Jesus war bekanntlich Jude und sprach eine semitische Sprache. Diese historische Perspektive hilft, Missverständnisse abzubauen.
Campus Tivoli:
Ist Aufklärungsarbeit hier das beste Mittel?
Kurt Igler:
Aufklärung ist wichtig. Gleichzeitig sehen wir, wie entscheidend es ist, dass Christinnen und Christen trotz Benachteiligung positiv in die Gesellschaft hineinwirken. Das geschieht vielerorts – etwa in Ägypten, wo Kirchen während des Arabischen Frühlings Verwundete versorgten.
Wir fördern Brückenprojekte wie beispielsweise Schulgründungen, von denen auch Nichtchristen profitieren. Das verbessert das Ansehen der Christinnen und Christen und stärkt das gesellschaftliche Miteinander. Auch Versöhnungsarbeit ist wesentlich – gerade in Regionen, in denen christliche Gemeinden Gewalt erfahren haben –, denn Traumabewältigung und Vergebung gehören zum Heilungsprozess.
Was mir schwer zu schaffen macht, ist, dass Christinnen und Christen selten mit Gewalt oder großen Demonstrationen reagieren, dadurch aber als Opfer oft weniger wahrgenommen werden. Das ist doppelt ungerecht – und macht es umso wichtiger, für sie einzutreten.
Campus Tivoli:
Welche Rolle hat eine liberale, säkulare Gesellschaft beim Einsatz für verfolgte Christinnen und Christen?
Kurt Igler:
Unsere liberalen Gesellschaften bauen historisch auf christlichen Grundlagen auf – etwa der Trennung von Religion und Staat. Diese Trennung ist im Christentum angelegt, nicht jedoch im Islam. Auch die Menschenrechte als Abwehrrechte gegenüber einem übergriffigen Staat lassen sich vor diesem Hintergrund erklären.
Jesus zwang niemanden, ihm zu folgen, sondern respektierte die freie Entscheidung jedes Einzelnen. Diese Freiheit bildet die Grundlage für echte Religionsfreiheit.
Als demokratische Gesellschaften können wir Staaten, die totalitär zu werden drohen, auf ihre Verantwortung hinweisen: Minderheitenrechte zu schützen, Religionswechsel zu ermöglichen, Folter und Verfolgung zu verhindern. Leider ist im Rahmen der UNO das Recht auf Religionswechsel kaum mehrheitsfähig – vor allem aufgrund des Widerstands islamischer Staaten. Darauf aufmerksam zu machen, ist dringend notwendig.
Studien zeigen, dass Gesellschaften florieren, wenn echte Religionsfreiheit herrscht und ein versöhntes Miteinander möglich ist.
Campus Tivoli:
Die Auffassung, Christinnen und Christen würden eher aus politischen oder gesellschaftlichen Gründen als wegen ihres Glaubens verfolgt werden, ist weit verbreitet. Wie ordnen Sie diese These ein?
Kurt Igler:
Man muss zwischen Opfer- und Täterseite unterscheiden. Wenn eine Person verfolgt wird, weil sie Christin bzw. Christ ist oder sich zu Christus bekennt, dann sprechen wir von Christenverfolgung – unabhängig von den Motiven der Täter.
Hinter der Verfolgung stecken unterschiedliche Motive: religiöser Hass, Nationalismus, ethnische Konflikte bis hin zu kriminellen Interessen. Ein Beispiel dafür ist ein Pastor in Mexiko, der sich gegen Drogenkriminalität aussprach und Aussteiger unterstützte – und so ins Visier der Kartelle geriet. Auch dies ist Christenverfolgung, weil er aus christlicher Überzeugung handelte.
Wir unterscheiden in unserem Weltverfolgungsindex neun Triebkräfte der Verfolgung und verschiedene Verfolgergruppen – aber entscheidend ist, dass das Opfer wegen seines christlichen Glaubens verfolgt wird.
Campus Tivoli:
Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten zehn Jahren besonders überrascht?
Kurt Igler:
Mich hat tief beeindruckt, wie wichtig es verfolgten Christinnen und Christen ist, zu spüren, dass sie nicht vergessen werden. Der Gedanke, einsam im Gefängnis zu sitzen und keinerlei Beachtung zu finden – das ist schwer zu ertragen.
Unsere Schreibaktionen und Begegnungsreisen entfalten große Wirkung. Wenn ein pakistanischer Ziegelarbeiter im Gefängnis Post aus aller Welt erhält, spürt er Wertschätzung. Oder wenn Christinnen und Christen in Äthiopien tagelange Reisen auf sich nehmen, um uns zu treffen, und anschließend berichten, dass die Begegnung sie tief ermutigt habe – dann wird deutlich, wie wenig manchmal ausreicht, um Hoffnung zu schenken. Für uns sind es interessante und spannende Reisen; für sie jedoch bedeuten diese Begegnungen die Welt.
Campus Tivoli:
Was wünschen Sie sich für die nächsten zehn Jahre?
Kurt Igler:
Ich wünsche mir, dass das Phänomen der Christenverfolgung mehr Aufmerksamkeit erhält. Wenn 70 Christen im Kongo ermordet werden, sollte das Schlagzeilen machen und nicht nur für Randnotizen sorgen.
Viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, wie stark Christinnen und Christen weltweit verfolgt werden. Manche reagieren überrascht und sagen: „Wir dachten immer, die Christen seien die Bösen.“ Das bereits erwähnte verbreitete Narrativ, Christsein sei automatisch mit einer westlichen, machtbewussten und unterdrückerischen Haltung verbunden, sitzt tief. Dabei entspricht das heutige typische Bild einer Christin viel eher einer jungen Frau in Nigeria, deren Mann von Extremisten ermordet wurde.
Ich wünsche mir ein Umdenken, mehr Solidarität und konkrete Hilfe. Besonders in Subsahara-Afrika, wo aktuell rund 16 Millionen Christen auf der Flucht sind. Dass sie zurückkehren können, Sicherheit finden, ihre Kinder wieder zur Schule gehen können – das wäre mein großer Wunsch für die nächsten zehn Jahre.
Campus Tivoli:
Vielen Dank für das spannende Gespräch.
Kurt Igler:
Sehr gerne. Danke.



