17.10.2025
Europäische Strategien für den demografischen Wandel

Am 9. und 10. Oktober 2025 widmeten sich Experten aus ganz Europa im Seminarhotel Springer Schlössl der drängenden Frage der demografischen Herausforderungen. Als Initiatorin betonte Nationalratsabgeordnete und OSZE-Sonderbeauftragte für den demografischen Wandel, Gudrun Kugler, dass es nicht die Intention sei, den Status quo zu analysieren, sondern Lösungswege aufzuzeigen. Die Konferenz wurde in Kooperation mit dem Wilfried Martens Centre durchgeführt und galt als Startschuss einer breiteren Diskussion zum Thema.
Dubravka Šuica, in deren Zuständigkeit als EU-Kommissarin ebenso Demografie fällt, verwies in einer Videobotschaft auf die sinkenden Geburtenraten und den Urbanisierungstrend. Europa müsste zielgerichtet für junge Menschen im ländlichen Raum eine familienorientierte Politik anbieten, um dem Wegzug in die Ballungsräume entgegenzutreten.
Der Demograf Tomáš Kucera wollte ein realistisches Bild der europäischen Bevölkerungsentwicklung zeichnen: Die Alterung der Gesellschaft lasse sich nicht allein durch Migration ausgleichen. Viele demografische Veränderungen seien unvermeidbar, zugleich könnten langfristig auch Chancen entstehen – etwa durch technologische Transformationen, die den Arbeitsmarkt verändern. Er plädierte für eine pragmatische Sichtweise. Nicht der Kampf gegen Windmühlen, sondern die nüchterne Bewertung realistischer Entwicklungen müsse Leitlinie politischer Entscheidungen sein.
Rainer Münz, Experte für Bevölkerungs- und Migrationspolitik und einst Berater bei Kommissionspräsident Junker, beschrieb Europa als „Kontinent der Extreme“ – mit gleichzeitig höchster Lebenserwartung und niedrigster Fertilitätsrate. Seine Vorschläge zielten auf eine Modernisierung des Pensionssystems ab: Abschaffung von Anreizen zur Frühpensionierung, flexiblere Erwerbsbiografien und spätere Renteneintritte sowie Förderung von Weiterarbeit nach dem Pensionsalter.
Vit Novotný, Experte für Migration am Wilfried Martens Centre, beleuchtete europäische Erfahrungen mit Migration und Pensionspolitik. Er verwies auf den wachsenden öffentlichen Druck in mehreren EU-Staaten und mahnte, soziale Kohäsion als „zerbrechliches Gefüge“ zu verstehen, das politisch gestärkt werden müsse.
Unter der Moderation von Peter Hefele, Policy Director am Wilfried Martens Centre, wurde das Thema Familienpolitik aus sozial- und wertepolitischer Perspektive diskutiert. Sich verändernde Lebensentwürfe führen dazu, dass die Familiengründung hinausgeschoben wird. Außerdem wurde erörtert, ob finanzielle Anreize ein gangbarer Weg seien, um zu mehr Kindern zu ermutigen. Ein kultureller Wandel, bei dem Elternschaft positiv gesehen wird, sei notwendig.
Der Abteilungsleiter für Sozial- und Gesundheitspolitik an der Wirtschaftskammer Österreich, Rolf Gleißner, verdeutlichte in seinem Impulsvortrag die volkswirtschaftlichen Folgen der demografischen Entwicklung: Schon heute kommen auf 100 Erwerbstätige über 33 Pensionisten. Er forderte Anreize für mehr Arbeitsstunden, steuerliche Entlastung für geleistete Arbeit und Investitionen in die Kinderbetreuung sowie altersgerechte Arbeitsbedingungen. In diesem Kontext beschrieb Tomáš Kucera die demografische Entwicklung Europas als „einen bergabfahrenden Lastwagen“, der „schwer zu stoppen, aber in der Richtung noch minimal steuerbar [ist]“.
Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Geograf, wies darauf hin, dass sich verschiedene Regionen angesichts der demografischen Entwicklungen verschieden entwickeln und unterschiedlicher politischer Antworten bedürfen. In manchen ländlichen Gebieten stelle sich die Frage, ob es am besten sei, sie „der Natur zurückzugeben“. Die Architektin Marisa Toldo präsentierte innovative Wohnkonzepte, die das Zusammenleben mehrerer Generationen fördern – ein Beitrag zur Überwindung sozialer Segregation.
Die Demografiekonferenz in Wien zeigte eindrucksvoll, dass es in Europa nicht an Analyse, sondern an Entschlossenheit fehlt. Mutige Entscheidungen sind jetzt notwendig, um sich auf die Auswirkungen einer schrumpfenden Bevölkerung vorzubereiten.



