19.11.2025
Buch Wien: KI, Demokratie und eine radikalisierte Weltordnung
Auf der diesjährigen Buch Wien präsentierte der Campus Tivoli drei hochkarätige Veranstaltungen. Sie spannten den Bogen von künstlicher Intelligenz über politisches Denken bis hin zu globalen Sicherheitsrisiken – jeweils begleitet von aktuellen Buchveröffentlichungen der beteiligten Expertinnen und Experten.

„KI: Wem gehört die Zukunft?“ – Hochreiter, Spiekermann und Hefele über Macht und Moral der Maschinen
Donnerstag, 13. November, Radio Wien Bühne
Zum Auftakt der Messe wurde schnell klar: Die Diskussion über Künstliche Intelligenz ist längst kein Nischenthema mehr – sie entscheidet darüber, wie Europa wirtschaftlich, technologisch und politisch aufgestellt sein wird. Unter der pointierten Moderation von Gerhard Hofer (Die Presse) zeigte eine hochkarätige Runde, wie viel Potenzial in KI steckt – und warum wir diese Zukunft aktiv gestalten müssen.
Sepp Hochreiter, einer der führenden europäischen KI-Pioniere, stellte sein neues Buch „Was kann künstliche Intelligenz?“ vor und machte deutlich, dass Europa sich nicht verstecken muss, sondern ambitioniert vorangehen sollte: „Die technologische Dynamik ist enorm. Wenn wir mutig investieren und unsere Stärken bündeln, können wir vorne mitspielen.“
Sarah Spiekermann, renommierte Wirtschaftsinformatikerin und Autorin von „Digitale Ethik“, erinnerte daran, dass Fortschritt nicht im luftleeren Raum stattfindet. KI brauche klare, positiv formulierte Leitlinien, um gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen: „KI spiegelt Werte. Entscheidend ist, dass wir diese Werte bewusst setzen – damit Technologie zu einem echten gesellschaftlichen Gewinn wird.“
Peter Hefele, Policy Director des Wilfried Martens Centre, präsentierte das gemeinsame Buchprojekt „Battle for Democracy in the Digital Age“, entstanden in Kooperation zwischen Campus Tivoli, dem Martens Centre und der tschechischen Partnerstiftung TOPAZ. Er unterstrich, dass der globale Wettlauf um Standards kein Grund zur Angst ist – sondern ein Auftrag: „Wer KI-Regeln setzt, gestaltet die Demokratie von morgen. Europa verfügt über Tiefe, Know-how und Partner, um genau hier eine Führungsrolle zu übernehmen.“
„Stichwortgeber – Von Hannah Arendt bis Karl Popper“: Orientierung in unruhigen Zeiten
Freitag, 14. November, Die Presse Science Bühne
Die zweite Veranstaltung, moderiert von Martin Haidinger von Ö1, rückte die Präsentation des Sammelbandes „Stichwortgeber – Von Hannah Arendt bis Karl Popper“ in den Mittelpunkt. (Mehr zum Buch finden Sie hier) Das Buch versammelt Essays über Denkerinnen und Denker, die mit ihren Ideen über Totalitarismus, Freiheit, Gemeinwohl und politische Verantwortung bis heute prägend sind.
Mit-Autor Till Kinzel betonte: „Diese Denker schafften die Grundlagen für das christlich-soziale Gedankengut, bei der die Person im Mittelpunkt steht. Keiner dieser Denker versprach einen Himmel auf Erden. Sie standen für Gemeinwohl. “
Herausgeber Christian Moser-Sollmann erklärte: „Viele der porträtierten Denker waren anti-totalitär und anti-kollektivistisch. Sie erinnerten daran, dass Freiheit nur bestehen kann, wenn das Individuum nicht im Kollektiv verschwindet.“
Claudia Höbarth, Direktorin des Campus Tivoli, hob hervor: „Sich mit diesen Denkerinnen und Denken zu beschäftigen, hilft dabei, die Spirale des Schweigens zu durchbrechen. Mit guten Zitaten kann man besser zur Debattenkultur beitragen. Es wurde auch bewusst darauf geschaut, das weibliche und männliche Stimmen vertreten sind.“
„Radikalisierte Weltordnung“ – Neumann und Schröter über Terror, Ideologie und geopolitische Brüche
Freitag, 14. November, ORF Bühne
Im Zentrum der Abendveranstaltung, moderiert von Christian Ultsch von der Zeitung „Die Presse“, stand der Umbruch der internationalen Ordnung.
Peter R. Neumann, dessen Buch „Die Rückkehr des Terrors“ die Zunahme extremistischer Bedrohungen analysiert, zeichnete ein nüchternes Bild: „Die neue Weltordnung wird wahrscheinlich weniger europäisch und weniger demokratisch sein.“
Europa habe die globalen Machtverschiebungen unterschätzt: „Wir haben nicht gecheckt, dass die Musik woanders läuft.“
Er warnte besonders vor den Effekten sozialer Medien: „TikTok amplifiziert extreme Inhalte in einem Ausmaß, das wir noch nicht gesehen haben. Radikalität wird zum Geschäftsmodell.“
Ethnologin Susanne Schröter, Autorin von „Politischer Islam – Stresstest für Deutschland“ und weiterer Standardwerke, analysierte den Wandel des Westens: „Der Westen ist die Idee der liberalen Demokratie. Aber die Allianz der Demokratien existiert heute in dieser Form nicht mehr.“
Sie kritisierte Europas Selbstgewissheit: „Wir müssen uns schleunigst unsere Überheblichkeit abgewöhnen.“
Zur Bedrohungslage in Europa sagte sie: „Der organisierte Islam in Europa ist in großen Teilen vom Ausland abhängig. Und unsere bestehenden strafrechtlichen Möglichkeiten – gerade beim Antisemitismus – werden zu wenig umgesetzt.“
Neumann ergänzte: „Hamas nutzt Europa seit Jahren als Rückzugsraum. Seit Ende 2023 sehen wir mehrere Festnahmen. Gleichzeitig bleibt das Anschlagsaufkommen hoch.“
Auch religiöse Radikalisierung nahm Raum ein. „Krisen erhöhen die Attraktivität fundamentalistischer Strömungen“, sagte Neumann. Schröter ergänzte: „Wir haben verlernt, religiöse Menschen ernst zu nehmen. Religion bietet klare Regeln – und viele suchen genau das.“
Moderator Christian Ultsch stellte schließlich die entscheidende Frage: „Was bleibt vom Westen, wenn wir es bleiben lassen?“
Neumanns Antwort war klar: „Diplomaten müssen aktiver werden und Allianzen schmieden, die die nächsten Jahre bestimmen.“
Schröter betonte zusätzlich: „Ohne wirtschaftliche Stärke wird Europa außenpolitisch irrelevant.“
Ein Fazit mit Blick nach vorn
Die drei Veranstaltungen auf der Buch Wien machten deutlich, dass Europa in zentralen Zukunftsfragen vor einem Wendepunkt steht – technologisch, politisch, kulturell und sicherheitspolitisch. Die Speaker verbanden Mahnung mit Analyse: Europa müsse aktiver werden, strategischer denken und wieder stärker verstehen, worauf seine eigene Attraktivität gründet.








